Warum sind die Fastenzeiten nach der 90-Minuten-Regel nicht immer korrekt?

Einige Gebetskalender legen die Fastenzeiten für das ganze Jahr nach einer festgesetzten Anzahl von Minuten vor dem Sonnenaufgang fest. Dazu zählte bis 2022 die IGMG als größte Organisation.

Der Sonnenstand ist der Hauptfaktor, welcher die Helligkeit der Dämmung bestimmt. Umso höher die Sonne hinter dem Horizont steht, um so mehr Licht ist sichtbar. Im Gegensatz zum Äquator geht die Sonne im Norden nicht fast in einem Winkel von 90 Grad (nach oben) auf. Im hohen Norden kann der Winkel so gering sein das die Sonne für Monate nicht mehr über den Horizont kommt. Da sich die Sonne am Horizont immer mit der gleichen Geschwindigkeit bewegt, benötigt sie auch mehr Zeit um an höhe zu gewinnen, wenn sie nicht gerade aufsteigt. Somit wissen wir jetzt das sich die Winkel des Sonnenaufgangs im Norden und am Äquator unterscheiden. Jedoch reicht das noch nicht um das Thema gänzlich zu verstehen. Es gibt noch einen wichtigen Unterschied. Die Erde bewegt sich um ihre eigene Achse, was den Tag und die Nacht bringt. Wenn es nur diese Rotation geben würde, dann würde der Winkel der Sonne jeden Tag gleich bleiben. Es gibt aber noch eine zweiten Faktor der uns die Jahreszeiten bringt, die Erde "eiert" wie ein langsam werdender Kreisel wodurch unsere Jahreszeiten entstehen, wobei ein durchlauf einem Jahr entspricht. Diese Bewegung beeinflusst den Sonnenwinkel am Äquator nur gering, die durch das folgende Beispiel ersichtlich.

Dämmerungszeiten für Fadschr am Äquator, Nakuru, Kenia:

DatumAufgang18 Grad
01.01.202206:3505:20 (75min)
01.03.202206:4405:35 (69min)
01.06.202206:2905:15 (74min)
01.09.202206:3205:22 (70min)

An diesem Beispiel sehen wir warum Gelehrte in manchen Ländern in Äquatornähe die Gebetszeiten nach bestimmten Abständen festlegen konnten. Ein Beispiel ist das Ischaa-Gebet, angenommen es würde sich hier um Ischaa handeln, könnten wir jetzt für Nakuru, Kenia folgende Regel aufstellen: Da Ischaa das ganze Jahr nicht mehr als 6 Minuten variiert, können wir es zur Vereinfachung im Kalender immer mit 75 Minuten angeben. Somit ist das Gebet immer gültig und wir brauchen keinen Kalender, wir wissen es sind immer 1 Stunde und 15 Minuten. Für den Fadschr ist es allerdings nicht so einfach, hier benötigen wir eine genauere Zeit, da das Fasten und das Gebet zur gleichen Zeit beginnen. Würden wir den Fadschr im Beispiel auf 75 Minuten festlegen, dann würden wir eventuell vor der Zeit beten, und wenn wir den Fadschr auf 69 Minuten festlegen, dann würden wir eventuell zu spät noch essen. Daher ist diese Regel für die Fastenzeiten nicht anwendbar.

Problematisch wird es, wenn man diese Methode auf den Norden anwendet. Die Dämmerungszeiten ändern sich aufgrund der Jahreszeiten enorm und es ist nicht mehr möglich eine nützliche Regel aufzustellen.

Zur Veranschaulichung nehmen wir Berlin, die Uhrzeiten nach 90 Minuten und bestimmte Gradzahlen:

DatumAufgang90 Minuten12 Grad15 Grad18 Grad
01.01.202208:1706:47 (90min)06:52 (85min)06:31 (106min)06:10 (127min)
01.03.202206:5305:23 (90min)05:39 (74min)05:20 (93min)05:00 (113min)
01.06.202204:4903:19 (90min)02:49 (120min)01:42 (187min)Endet nicht
01.09.202206:1604:46 (90min)04:56 (80min)04:32 (104min)04:06 (130min)

Hier sehen wir, dass die Dämmerungszeiten so stark voneinander abweichen, dass darin keine Regel mehr erkennbar ist. Angenommen wir wollen eine Regel für Ischaa festlegen die das ganze Jahr gültig ist und man geht fälschlicherweise davon aus, dass Ischaa bei einem Winkel von 12 Grad liegt, dann müsste die Regel lauten: Ischaa ist in Deutschland immer bei 120 Minuten. Da der Ischaa aber nur in ⅕ des Jahres bei 120 Minuten liegt, wäre das eine sehr schlechte und ungenaue Beschreibung von Ischaa. Auch wenn wir den Mittelwert nehmen, beten wir das halbe Jahr vor der eigentlichen Zeit. Dadurch können wir sehen das wir diese Regel keinesfalls für den Fadschr anwenden können. Würden wir also fälschlicherweise annehmen, dass der Fadschr zu 12 Grad kommt, dann ist die Länge von 74 bis 120 Minuten. Wenn wir den Mittelwert von 97 Minuten nehmen, dann ist manchmal das Gebet zu früh, oder der Fastenbeginn zu spät. Das gleiche gilt wenn wir 74 Minuten nehmen, dann ist unser Fastenbeginn fast immer zu spät und wenn wir 120 Minuten nehmen, dann ist unser Gebet fast immer zu früh.

Durch diese Beispiele können wir erkennen, dass es bestimmte Situationen gibt, in welchen man eine 80 oder 90-Minuten-Regel anwenden kann. Diese Situation trifft allerdings nicht auf den Norden zu. Und somit kann diese Regel hier auch nicht angewendet werden.